Wälti über die Entwicklung des Frauenfußballs, die Jugend und ihre WM-Hoffnungen

Lia Wälti, Captain der Schweizer „Nati“ sprach mit der FIFA über Arsenal, den Blue Stars/FIFA Youth Cup™ und die kommende WM.

  • Lia Wälti, Captain der Schweizer “Nati” sprach mit der FIFA
  • Der Star von Arsenal blickte voraus auf die Teilnahme der Gunners am Blue Stars/FIFA Youth Cup™
  • Sie sprach auch über die Fortschritte, die der Frauenfußball im Vorfeld dieses WM-Jahres gemacht hat

Nationaltrainerin Inka Grings bezeichnete sie im FIFA-Interview als “Magnetspielerin”, “Traumspielerin” und “Führungspersönlichkeit”. Jonas Eidevall, ihr Trainer bei Arsenal, nennt Lia Wälti einfach “eine der besten Mittelfeldspielerinnen der Welt”.

Dies sind beeindruckende Lobeshymnen, doch kaum jemand, der die Leistungen der 30-Jährigen in den letzten Jahren gesehen hat, wird diese Einschätzungen bestreiten. Erst vor wenigen Tagen unterzeichnete Wälti einen neuen Vertrag beim englischen Spitzenklub Arsenal. Nach der Entscheidung im packenden Titelrennen in der WSL wird sie als Spielführerin mit der schweizerischen “Nati” zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ reisen.

Wälti sprach in einem ausführlichen Interview mit der FIFA über ihren Klub, das Nationalteam, die Entwicklung des Frauenfußballs und den bevorstehenden Blue Stars/FIFA Youth Cup™.

FIFA: Lia, Arsenal gehört zu den Teams beim bevorstehenden Blue Stars/FIFA Youth Cup in Ihrem Heimatland. Hätten Sie als Youngster auch gern die Gelegenheit gehabt, bei solchen Turnieren zu spielen?

Lia Walti: Ja! In meiner Kindheit haben wir meist nur bei kleinen Turnieren gespielt, bei Turnieren an Wochenenden, bei denen wir die Nacht in Zelten verbrachten. Ich hätte sehr gern noch mehr solcher Turniere erlebt, denn sie haben mir einige der schönsten Erinnerungen meiner Kindheit geschenkt. Heutzutage haben Frauen und Mädchen viel bessere Möglichkeiten als vor 15 oder 20 Jahren, als ich in diesem Alter war.

Am Anfang meiner Karriere konnten wir kaum vom Fußball leben. Die Platzverhältnisse waren oft schlecht und es kamen nur sehr wenige Zuschauer. Jetzt ist die Zeit des Frauenfußballs gekommen und die Kluft zum Männerfußball ist deutlich kleiner geworden. Im finanziellen Bereich zwar noch nicht, aber die Situation im Allgemeinen durchaus. Die Platzverhältnisse sind besser, es kommen viele Fans, wir spielen in großen Stadien und haben mehr Unterstützung.

Das U-19-Team von Arsenal nimmt in der nächsten Woche an dem Turnier in Zürich teil. Was können wir von diesem Team erwarten?

Ich bin schon so lange aus der Schweiz weg, dass ich nicht weiß, wie die dortigen U-19-Teams im Vergleich mit Arsenal abschneiden würden. Aber ich weiß, dass unser Nachwuchsteam sehr körperbetont spielt. Der englische Fußball ist sehr robust, mit schnellen, athletischen Spielerinnen, die selbstbewusst und couragiert spielen. Außerdem haben sie definitiv eine stärker ausgeprägte Siegermentalität als wir Schweizerinnen. Wir sind da etwas zurückhaltender.

Ich würde sagen, dass die Leidenschaft für den Fußball in England stärker ist als in jedem anderen Land. Es gibt kaum jemanden, der nicht ein Team unterstützt. Das ist fast surreal. Viele Leute sind durch und durch Arsenal – es spielt keine Rolle, ob sie Fans oder Angestellte sind – sie leben und atmen den Klub seit ihrer Kindheit, weil die ganze Familie schon immer hinter Arsenal steht. Auf diese Weise bekommt man automatisch eine ganz andere Bindung zu dem Klub.

Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Erfahrungen seit dem Wechsel zu Arsenal

Seitdem ist ziemlich viel passiert! Ich kam vor fünf Jahren hierher nach England. Damals war eigentlich die deutsche Frauenliga etwas besser und tendenziell die Liga, in die die besten Spielerinnen wechselten.

Ich kam mehr aus Instinkt zu Arsenal. Ich hatte kaum Erfahrung mit der Liga und wusste nicht, was mich erwartete. Einen solchen Boom jedenfalls hat eigentlich niemand erwartet. Wir hatten damals einen Mitarbeiterstab von gerade einmal acht Leuten, glaube ich, und jetzt haben wir mehr als 20. Unser Zuschauerschnitt lag bei 1.000 bis 2.000, als ich anfing, und mittlerweile spielen wir gewisse grosse Spiele in Stadien vor 50.000 Fans.

Am Anfang hätte ich die englische Liga als weniger taktisch beschrieben, mit einer robusteren Spielweise, weil ich direkt aus Deutschland nach England kam. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass das Spiel auch hier stärker taktisch geprägt ist, weil sich die gesamte Liga verbessert hat und es jetzt viel mehr Spitzenspielerinnen gibt. Ich habe auch vieles über den Fußball hinaus gelernt. Ich habe eine neue Sprache gelernt und England besser kennen gelernt, eine ganz andere Kultur.

Wenn man als Spielerin tagtäglich mit solch großartigen Spielerinnen spielt, hat man jeden Tag eine Herausforderung zu bestehen. Außerdem ist die Liga so ausgeglichen, dass es eigentlich keine Spiele mehr gibt, in denen man es sich leisten kann, nur 50 oder 60 Prozent Leistung zu bringen.

Wie sie sagen, boomt der Frauenfußball derzeit. Was sagen Sie zur Entwicklung des Spiels?

Es ist nicht leicht, das umfassend zu beurteilen, weil diese Entwicklung so enorm schnell voranschreitet. Es kommt darauf an, von wo auf Welt man die Entwicklung verfolgt. Ich denke, in der Schweiz erfolgt die Entwicklung deutlich langsamer, aber auch dort geht es vorwärts.

In vielen Ländern hat man endlich erkannt, dass auch Frauen spielen können und dass es sich lohnt in den Frauenfußball zu investieren und die gleichen Möglichkeiten zu schaffen, wie bei den Männern. Und es lohnt sich, weil sich die Menschen für den Frauenfußball interessieren. Ich freue mich immer, wenn Leute sich für den Frauenfußball interessieren und sagen, dass sie zuvor nicht wussten, dass er so schnell und so gut sein kann.

Wie schwer ist es für Sie, in die Schweiz zurückzukommen, wo die Menschen wegen Ihrer Erfolge auf Klubebene nicht weniger als herausragende Leistungen von Ihnen erwarten?

Zu den guten Aspekten meines Lebens und meiner Karriere zähle ich, dass ich immer mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben und mir selbst treu geblieben bin. Manchmal bin ich wohl einfach zu selbstkritisch. In mancher Hinsicht nehme ich mir die Dinge zu sehr zu Herzen und übernehme zu viel Verantwortung, und das macht es manchmal schwierig. Der Druck in der Schweiz ist etwas anders als hier bei Arsenal, denn hier verteilt sich dieser Druck auf die Schultern vieler Spielerinnen.

Im Nationalteam sind wir nicht so breit aufgestellt und daher ist der Druck auf mich als Einzelne dann höher. Das kann etwas Gutes aber auch etwas Schlechtes sein. Wenn in meinem Leben alles gut läuft und ich zufrieden bin, kann ich eigentlich mit Erfolgen und mit Misserfolgen, mit guten und schlechten Leistungen und auch mit Druck ganz gut umgehen. Aber es gibt auch schlechte Phasen, die ziemlich hart sind, und dann berühren mich manche Dinge einfach stärker.

Sie haben dazu beigetragen, dass die Schweiz sich zum zweiten Mal für eine FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ qualifiziert hat, erstmals seit 2015 wieder. Welche Erwartungen haben Sie an das Turnier in diesem Jahr?

Wenn Sie alle Nationalspielerinnen fragen würden, die 2015 bei der WM dabei waren, würden sie alle sagen, dass das der Höhepunkt ihrer Karriere war. Zum einen, weil es das erste Mal war, dass sich die Nationalmannschaft für ein großes Turnier qualifizieren konnte, und zum anderen, weil das ganze Turnier für uns in Vancouver einfach klasse war: eine tolle Stadt, ein tolles Team, viel Sonne und ein fantastischer Sommer. Ich weiß nicht, woran es im Einzelnen lag, aber nachdem wir dies einmal erlebt hatten, wollten wir es wieder schaffen – und den jüngeren Spielerinnen helfen, ebenfalls teilzuhaben.

Ich freue mich vor allem darauf, mit den besten Nationen der Welt dabei zu sein und gegen andere Teams von verschiedenen Kontinenten anzutreten und dabei herauszufinden, wie weit wir es schaffen können. Wir müssen das ganze Turnier so intensiv wie möglich genießen, denn es war ein langer und harter Weg bis dorthin. Dazu müssen wir stets die Ruhe bewahren und unsere besten Leistungen abrufen.

Welche Teams sehen Sie als Favoriten auf den Weltmeistertitel?

Ich denke, dass bei diesem Turnier viele Teams gute Chancen haben. Die Schwedinnen waren beispielsweise in den vergangenen zehn Jahren in fast jedem Halbfinale vertreten. Sie haben ein starkes Team. Auch Deutschland hat wieder ein starkes Team. Was die europäischen Teams angeht, könnte man sich sechs oder sieben davon im Viertelfinale vorstellen. Dazu vielleicht noch die USA und Kanada. Auch Australien als einer der Gastgeber könnte das schaffen, aber die haben eine schwere Gruppe. Ich bin gespannt, wie sie sich dort behaupten werden. Ich habe das Gefühl, dass die europäischen Teams die WM dominieren werden.

Wie beurteilen Sie Schweiz?

Ich würde sagen, dass wir eine realistische Chance haben, die Gruppenphase zu überstehen, wenn wir unsere beste Leistung abrufen. Was die Auslosung angeht (die Schweiz spielt in Gruppe A gegen Neuseeland, Norwegen und die Philippinen, Red.) hatten wir wohl Glück. Es hätte definitiv schlimmer kommen können. Außerdem ist es ein Traum, gegen einen der Gastgeber zu spielen. Diese Erfahrung haben wir schon in Kanada gemacht, und es war einfach großartig.

Unser Ziel ist es, den Sprung aus der Gruppenphase zu schaffen. Was danach kommt, hängt ganz von unseren Gegnern ab. Wir haben natürlich unsere Grenzen, und gemessen an den anderen Teams dort sind wir vielleicht ein bisschen im Rückstand. Doch wenn man in der K.o.-Phase ist, geht es jeweils nur um ein Spiel. Daher ist dann fast alles möglich. Wenn alle Spielerinnen bis zum Turnier fit bleiben und dann in Bestform antreten, haben wir das Potenzial, weit zu kommen.

Ihre Ergebnisse in diesem Jahr waren meist Unentschieden oder Niederlagen. Was fehlt, damit am Ende auch mal ein oder zwei Siege herausspringen?

Tore, ganz einfach! In den meisten dieser Spiele waren wir mit unserem hohen Pressing eigentlich ziemlich effizient. Im tiefen Block könnten wir uns durchaus noch verbessern, aber wir haben hinten eigentlich nicht viel zugelassen. Wir müssen es schaffen, unsere herausgespielten Chancen besser zu nutzen, im letzten Drittel geduldiger und auch geradliniger zu sein, öfter aufs Tor zu schießen und für die entscheidenden Pässe zu sorgen.